5.4 «Die Operation ist der Goldstandard»
25.03.2020
Schilddrüsenkarzinome gehören zu den Tumorerkrankungen mit den besten Heilungschancen. Dr. Georg Wille erläutert, warum das so ist und warum die OP filigrane Feinstarbeit bedeutet.
Herr Dr. Wille, immer mehr Menschen erkranken weltweit an Schilddrüsenkrebs. Was steckt dahinter?
Ein Teil der zunehmenden Fälle ist auf den heute viel häufigeren Einsatz von Ultraschall, CT und MRI zurückzuführen. Bei diesen oftmals aus einem anderen Grund durchgeführten Untersuchungen findet man nicht selten kleinere Knoten der Schilddrüse, welche sich dann als Schilddrüsenkrebs herausstellen. Diese Befunde blieben früher unerkannt. Leider häufen sich aber auch die fortgeschrittenen Stadien von Schilddrüsenkrebs, dessen Ursache bis anhin unklar bleibt. Diesbezüglich werden Umwelteinflüsse diskutiert.
Welche im Speziellen?
Ein klarer Risikofaktor ist die ionisierende Strahlung. So weisen beispielsweise Menschen, die in der Umgebung von Tschernobyl gewohnt hatten, ein viel höheres Risiko auf.
Welche Symptome sind für Schilddrüsenkrebs typisch?
Wie beim Brustkrebs an der Brust kann sich plötzlich ein störender Knoten am Hals bemerkbar machen. Der Schilddrüsenkrebs, von dem deutlich häufiger Frauen betroffen sind, verursacht meistens keine Schmerzen. In diesen Fällen müssen ein Ultraschall und eine Punktion des Knotens erfolgen, um die Diagnose zu erhärten.
Wie gefährlich ist Schilddrüsenkrebs?
Die gute Nachricht ist die, dass Schilddrüsenkrebs in der Regel vollständig geheilt werden kann. Die Heilungsraten zehn Jahre nach Diagnosestellung liegen bei der häufigsten Krebsform der Schilddrüse bei mehr als 95 Prozent.
Wie erreicht die Medizin solche hohen Heilungsraten?
Die Therapie des Schilddrüsenkarzinoms ist chirurgisch, erfolgt also durch eine Operation. In den meisten Fällen ist es notwendig, die Schilddrüse in Gänze zu entfernen. In Frühstadien kann die gesunde Hälfte der Schilddrüse im Körper verbleiben. Lediglich der Lappen, in dem sich der Krebsknoten befindet, muss dann entfernt werden.
Wie läuft die Operation bei Schilddrüsenkrebs ab und gibt es Risiken?
Die Schilddrüsenchirurgie ist Präzisionsarbeit. Im Vordergrund steht die Schonung des Kehlkopfnervs, welcher für die Beweglichkeit der Stimmlippen verantwortlich ist. Hierzu steht uns das Nerven-Monitoring zur Verfügung. Nähert sich die Spitze der Detektionssonde dem Nerv, ertönt nicht nur ein akustisches Signal, auch ist ein Ausschlag auf dem Monitor erkennbar. Dieses Instrument wurde seit Jahren fortlaufend verbessert und verhindert eine Verletzung dieses wichtigen Nervs.
Ebenso wichtig ist es, die Nebenschilddrüsen zu schonen. Die chirurgische Herausforderung bei der sogenannten Thyreoidektomie liegt darin, die Durchblutung dieser vier winzigen Drüsen, die der Schilddrüsenkapsel aufliegen und für den Kalziumstoffwechsel verantwortlich sind, möglichst zu erhalten.
Wie geht das technisch?
Hierfür steht uns intraoperativ seit kurzem eine hochmoderne Infrarotkamera zur Verfügung. Mit dieser kann man während der OP die Blutversorgung der Nebenschilddrüsen besser darstellen und das Nebenschilddrüsengewebe als solches erkennen. Erste Studien zeigen auf, dass mittels dieser Kamera die Nebenschilddrüsen besser geschont werden können.
Grundsätzlich sind zur Vermeidung von chirurgischen Komplikationen die Kenntnis der Anatomie und eine präzise Art zu operieren am wichtigsten. Der Operateur sollte hierfür eine gewisse Mindestanzahl Thyreoidektomien pro Jahr durchführen.
Wie geht es nach der Operation weiter?
Der Aufenthalt im Spital liegt bei rund drei Tagen. Unmittelbar nach der Operation wird das fehlende Schilddrüsenhormon durch eine Tablette am Tag ersetzt. Während Frühstadien des Krebses allein durch die Operation geheilt sind, wird in fortgeschrittenen Fällen zusätzlich eine Radiojodtherapie empfohlen. So werden – vereinfacht gesagt – durch die Radiojodtherapie die verbliebenen Schilddrüsenzellen und vor allem Krebszellen, die mit dem blossen Auge für den Chirurgen nicht sichtbar sind, zerstört.
Ist der Patient dann geheilt?
Glücklicherweise ist das in der Schweiz weitaus häufigste Schilddrüsenkarzinom, das sogenannte papilläre Schilddrüsenkarzinom, im Vergleich zu anderen Krebsarten wenig aggressiv. Zusammen mit den erwähnten Therapien ist die Prognose hervorragend. Ich bin glücklich, das so sagen zu können. Die erzielten Resultate erleichtern meine Arbeit als Schilddrüsenchirurg extrem.
Dieser Artikel ist ursprünglich in der SonntagsZeitung erschienen: Download Artikel